YAMAHA XT 600 Z Ténéré

Die Königin der Enduros

Selten, dass ein Motorradmodell ein ganzes Segment dermaßen prägt, wie die Yamaha XT 600 Z TÉNÉRÉ. Die Vorgängermodelle XT 500 und XT 550 hatten bereits das Revier abgesteckt, und mit der neuen 600er sollte Yamaha noch eins draufsetzen. Das neue Modell schlug hinsichtlich Technik ein völlig neues Kapitel auf: Vierventil-Kopf, automatische Dekompression und dank der Trockensumpfschmierung inklusive Ölkühler in allen Lebenslagen sicher Schmierung. Problemlose 12V-Elektrik mit H4-Scheinwerfer und unterbrecherfreies Zündsystem. Der Rahmen wurde völlig neu konzipiert und mit einem großen, mit Schwallblechen im Inneren bestücktem, Tank mit sensationellen 30 Litern versehen. Mit dem aus dem YZ-Crossmaschinen erfolgreichen „Mono Cross“ Federsystem mit zentralem Federbein und Umlenkhebel angelenkter Aluminiumkastenschwinge und der luftunterstützten Showa Teleskopgabel bot die TÉNÉRÉ ein Gelände tauglicheres Fahrwerk im Vergleich zu den Vorgängern. Durch die langen Federwege hatte die „Neue“ eine Sitzhöhe von 90cm, was beachtlich war. Vorne verzögerte nun eine neue geschlitzte zeitgemäße Scheibenbremse die XT, wobei hinten die alte bewährte Trommelbremse weiter ihren guten Dienst verrichtete. Sie ist eine reinrassige Reisenduro, ohne unnötigen Schnick-Schnack. Die Ténéré wurde der absolute Erfolgsschlager und war kurz nach ihrem Erscheinen bereits ausverkauft und wurde so 1984 und 1985 das meistverkaufte Motorrad der Welt.

Schon im Stand ist die Botschaft klar: Nichts für Weicheier, sondern gemacht für harte Kerle, die den kräftigen Tritt auf den Kickstarter nicht scheuen. Belohnt wird der Kickende mit einem handlichen, wartungsfreundlichen Motorrad, dass über ausreichend Motorleistung verfügt (44PS Nennleistung) und auch optisch heraussticht. In Sachen Design ist die „Ur- TÉNÉRÉ“ vorbildlich gealtert. In meinen Augen sehr formschön und proportional äußerst ausgewogen. Klassische Linienführung, keine halbrunden Sachen, keine „Design-Banane“. Gradlinig, dynamisch und simpel, aber sicher nicht einfältig oder langweilig. Der voluminöse Tank mit der nach oben gezogenen Linie macht die TÉNÉRÉ „angriffslustig“.

Am schärfsten finde ich die Kombination von diesem großen Tank und der kurzen Sitzbank mit dem kleinen Gepäckträger – Rally-Style ab Werk! Die gold eloxierten Felgen runden das hochwertige und sportliche Gesamtbild ab. Schon beim Anblick der XT600Z Ténéré habe ich Sahara-Sand zwischen den Zähnen, in Vorfreude aufs Fahren und darauf, die Welt zu erkunden.Am schärfsten finde ich die Kombination von diesem großen Tank und der kurzen Sitzbank mit dem kleinen Gepäckträger – Rally-Style ab Werk! Die gold eloxierten Felgen runden das hochwertige und sportliche Gesamtbild ab. Schon beim Anblick der XT600Z Ténéré habe ich Sahara-Sand zwischen den Zähnen, in Vorfreude aufs Fahren und darauf, die Welt zu erkunden.

Specs:

1-Zylinder, 595 cm³, 4 Ventile, OHC über Kette | 44 PS bei 6500/min | 49 Nm bei 5500 U/min |
| Kickstarter | Scheibenbremse vorne, Simplex-Trommelbremse hinten | Gewicht: 162 kg | Vmax: 160 km/h

Bestandsaufnahme

Diese XT 600 Z (Modelljahr 1985) hat in den letzten Jahren unter massiven Liebesentzug gelitten – das sah man ihr an. Etwas runtergerockt. Man kennt das ja: Baumarktschrauben und Isolationsband wohin man schaut. Eine Seite der Verkleidung fehlte, leichter Rostansatz unten am Rahmen, Rost im Tank, Lackabplatzer am Motor und mit Kabelbinder und Holzschrauben geflickte Plastikteile… Ruhm und Glanz schienen lange vorüber. Aber: keine Beschädigungen am Motor, nahezu alle Gewinde waren intakt und auch an der Elektrik wurde so gut wie nichts reingeflickt. Der originale Endschalldämpfer war etwas mitgenommen, aber noch vorhanden, ebenso die nicht leicht aufzutreibende Frontmaske. Die wunderschönen gold-eloxierten Felgen waren noch gut in Schuss (bis auf ein paar gerissene Speichen); und die Fahrwerkskomponenten waren ebenfalls noch original, hatten aber sehr wahrscheinlich noch nie ein Service gesehen. Unterm Strich: Runtergekommen, aber zumindest ehrlich – es wurden sehr wenige Verschlimmbesserungen vorgenommen. 40 Jahre gehen schließlich auch nicht ohne Spuren an einem Motorrad vorbei. „Der Motor lief noch vor ein paar Jahren“ beteuerte der Verkäufer – mit dieser frommen Botschaft in Gedanken machte ich mich ans Werk…

Restauration

Generell ist es bei Restauration schwierig die „Linie“ zu ziehen. Was lässt man – was macht man neu? Was ist Patina und was geht gar nicht mehr? Nachdem der Tank Dellen hatte und innen entrostet werden musste, und auch der Motorzustand in Wahrheit unbekannt und daher geöffnet werden sollte, hatte ich mich dafür entschieden, eine Komplettrestauration durchzuführen. Diesmal sollten alle Register bei der Restauration gezogen werden – top notch, ohne Kompromisse. Technisch und optisch.

Rahmen und Fahrwerk

Nach der Demontage wurden sämtliche Teile sandgestrahlt, um Lack, Rost und Schmutz tiefgründig zu entfernen. Die Soziusfußrasten wurden entfernt und stattdessen Ösen zum Verzurren von rahmenlosen Gepäcksystemen – wie z.B. dem „Reckless 40L“ von Mosko Moto – angebracht. Der Rahmen wurde in weiterer Folge in der Farbe RAL 3020 zweifach kunststoffbeschichtet. Dieser Farbton ist nahezu ident mit dem Yamaha „Fire Red“ (00FH FIR). Lenkkopflager wurde im Zuge dessen natürlich ebenfalls erneuert. Sämtliche Anbauteile wurden entlackt und „seidenmatt-schwarz“ gepulvert.

Die Alu-Schwinge wurde einer akribischen Reinigung unterzogen und anschließend neue Lager und Dichtungen verbaut. Natürlich wurden auch neue Kettenschleifschützer und der obligatorische „Monocross“ Aufkleber angebracht.

Weiter gings mit der Überholung der Teleskopgabel. Nach einer peniblen Reinigung wurden die Tauchrohre mit Stahlwolle und Schleifvlies bearbeitet, um den originalen Glanz wiederzubekommen. Vorsicht ist geboten, nicht die originalen Aufkleber zu beschädigen. Die Gabelfedern wurden gegen progressive Artgenossen von YSS getauscht. Die Wellendichtringe und Gleitbuchsen im Zuge dessen natürlich gleich mit erneuert. Das Federbein hinten wurde ebenfalls zerlegt, gereinigt und auf die Funktion überprüft. Nach erfolgreichem Test der Dämpfereinheit und Zugstufenverstellung wurde das Federbein mit neuem Anschlagspuffer versehen wieder zusammengesetzt.

Nächster Punkt auf der Agenda und Höhepunkt des Projekts – die Revision des Motors. Neben eines erstklassigen technischen Soll-Zustand, wurde auch ein optischer Neuzustand angestrebt. Dieses Mal wollte ich die Produkte von Cerakote zum Lackieren des Motors verwenden. Diese Keramikbeschichtungen sollen ja sehr gut (und teuer) sein. Wir werden sehen… Zunächst folgte wiederum eine Anti-Aging Kur mit dem Sandstrahlgerät und ein komplettes Zerlegen des Motors bis nur mehr die Magnesiumgussgehäuse überblieben.

Die verwendete Cerakote H-Series (H-146-P – Graphite Black mit Katalysator) wird nach einem Aceton-Bad mit einer Lackierpistole aufgetragen und im Backrohr bei 120°C ausgehärtet. Das Ergebnis ist erstklassig – Daumen hoch! Die Oberfläche hat einen edlen Seidenglanz und fühlt sich sehr wertig an. Dazu kommen weitere Vorteile, wie hohe Temperatur-, Korrosions- und Chemikalienbeständigkeit.

Es folgte meine Lieblingsarbeit: Der Zusammenbau des Einzylinders. Um dem Ziel gerecht zu werden, wurden alle neuralgischen Teile gegen Neuteile getauscht:

Zylinderkopf überarbeitet, neue Ventile, neue Schrauben
Neue Steuerkette
Zylinder gehohnt, neuer Kolben
Kurbelwelle überarbeitet inkl. neuem Pleuel, feingewuchtet
Komplett neues Getriebe
Neue Schaltnocke mit Schaltgabeln
Neue 3AJ Ölpumpe

Selbstredend, dass im Zuge des Zusammenbaus auch sämtliche Lager der Kurbelwelle, Ausgleichswelle und Getriebewellen, sowie alle O-Ringe und Wellendichtringe gegen Neuteile getauscht wurden. Ein passender Motorhalter ist für diese Arbeiten unverzichtbar. Falls du einen für XT Motoren suchst – kontaktiere mich einfach. Gleiches gilt für Tipps für Bezugsquellen bzw. zur Recherche bei der Teilebeschaffung.

Einen gewissen Schraubenfetisch streite ich nicht ab. Daher wurden ausschließlich originale Yamaha-Schrauben verwendet. Die Motorschrauben haben diesen leichten Grünstich (grün vernickelt) und die Rahmenschrauben einen speziellen Kopf mit Prägung. Es muss halt passen… Des Weiteren wurden auch die Hutmuttern mit der Stahlbürste bearbeitet, damit sie seidenmatten Schimmer wieder zum Besten geben.

Auspuffkrümmer und Endschalldämpfer

Ein wichtiger Punkt hinsichtlich Originalität ist das Auspuffsystem. Im Falle der frühen XT-Modelle ein heikles Thema, da die braune Pest über die Jahrzehnte gnadenlos zuschlägt. Auch bei diesem Motorrad waren Krümmer und Endschalldämpfer durchwegs knusprig. Die Teile wurden behutsam sandgestrahlt und in weiterer Folge die Rostlöcher vorsichtig geschweißt bzw. hartgelötet. Es folgte die Lackierung mit Cerakote C-Serie, die besonders hitzebeständig ist (Graphite Black, lufttrocknend).

Vergaser

Die Vergasereinheit ist durchaus interessant bei den XT Modellen! Bei dem Versorger der XT600 handelt es sich um einen Vergaser mit Schieberkolbenregelung in Flachstromanordnung (d.h. die Luft strömt in horizontaler Richtung in den Ansaugtrakt, auch Querstromvergaser genannt). Strenggenommen sind es sogar zwei Vergaser (Primär- und Sekundärvergaser), wobei der Sekundärvergaser aber -unterdruckgesteuert- nur im Volllastbetrieb zur Gemischbildung beiträgt (weshalb das rechte Einlassventil immer etwas verölt ist – es wird weitaus seltener von Gemisch gesäubert). Diese Aufteilung in Primär- und Sekundärvergaser nennt Yamaha „Yamaha Duo Intake System“ oder abgekürzt „YDIS“, wie es auch auf dem Sekundärvergaser aufgeprägt ist. Detaillierte Informationen rund um den Vergaser findet man z.B. auf XT600.de.

Bei der Restauration wurde der Vergaser vollständig zerlegt, ultraschallgereinigt und soweit möglich und sinnvoll mit Neuteilen wieder zusammengebaut. Ein Dorn im Auge war mir die Kaltstartvorrichtung (Choke). Die Hebelzugvorrichtung am Lenker links war äußerst schwergängig und überzeugte mich gar nicht. Diese Lösung passt meiner Meinung nach überhaupt nicht zum sehr durchdachten Konzepte der Tenere.

Kaltstart:
Bei gezogenem Chokeknopf gibt der Kolben den Luftkanal frei. Durch den anstehenden Unterdruck wird Kraftstoff durch das Rohr gerissen und strömt -vermischt mit Verbrennungsluft- über die Bohrung in den Ansaugtrakt und sorgt so für ein fetteres Gemisch bei kaltem Motor. Es handelt sich hier also strenggenommen nicht um einen Choke, sondern um einen richtigen Vergaser im Vergaser, der nur für den Kaltstart zuständig ist.

Eine Lösung ohne Seilzug erschien mir wesentlich einfacher und effektiver. Zum diesem Zeitpunkt gab es sogar eine Alternative von einem der späteren Modelle (2KF) mit der Produktnummer 2KF1437101 – jedoch zu einem gesalzenen Preis von rund 150€.

Daher wurde kurzerhand die Drehmaschine angeworfen und ein passender Choke-Kolben gefertigt. Beim vollständigen Ziehen des Kolbens (Kaltstart aktiv) bleibt der Kolben durch eine Arretierung in der Position. Beim Lösen des Chokeknopfes (Kaltstart deaktivieren) bringt eine gegendrückende Feder den Kolben wieder in die ursprüngliche Position und hält durch den Federdruck und gummierter Auflagefläche vorne den Luftkanal sicher verschlossen. Funktioniert tadellos! Solltest du auch einen benötigen – gerne melden!

Im ersten Bild sieht man den 2KF Chokekolben (oben; die Spitze ist für die Modelle 34L, 55W nicht notwendig), sowie darunter den originalen Mechanismus, bei dem serienmäßig die Lasche für den Seilzug eingehängt wird. Die anderen beiden Bilder zeigen den von mir gefertigten Choke-Kolben in gezogener Position bzw. Ruheposition.

Elektrik

Wider Erwarten war der Kabelbaum, sowie das Zündsystem und Armaturen noch in einem sehr guten technischen Zustand. Lediglich ein paar Steckverbindungen wurden nachgelötet bzw. erneuert und Teilstücke im Kabelbaum neu ummantelt, der Rest blieb original. Die Lenkerarmaturen wurden zerlegt, gereinigt und das Kunststoffgehäuse aufbereitet.

Zusammenbau und erster Motorstart

Im Folgenden noch ein paar Eindrücke vom Zusammenbau. Nach gut 160 Stunden der Restaurierung war es endlich soweit: der erste Start des Motors. Nach ein paar Kicks ist sie gelaufen – ein sehr erbauendes Gefühl!

Resümee und Studiobilder

Die Anstrengungen haben sich gelohnt! Die Tenere fährt sich hervorragend. Auffallend ist das geringe Gewicht im Vergleich zu den Nachfolgermodellen – laut Unterlagen immerhin 20kg! Die technische Raffinesse und Einfachheit und Robustheit der Ur-Tenere sind bestechend. Beim Aufsteigen erkennt man schnell, dass die Tenere keine Pseudo-Enduro für die Eisdiele ist, sondern fürs Gelände gemacht wurde. Hat man erst die 90cm hohe Sitzbank erklommen, darf sich der Fahrer hinter dem gewaltigen Benzintank dann so erhaben fühlen wie ein Paris-Dakar-Profi in der Sahara. Der Start per Kick erfolgt entgegen der Vorurteilen, relativ einfach: Kalter Motor verlangt nach Choke und wenig Gas, warmer Motor will mit halbgeöffnetem Gasgriff. Nach den ersten Hustern mit Gefühl am Gasgriff den Motor bei Laune halten.
Beim Beschleunigen verrät der mit 44 PS Einzylinder nicht einmal, wann der zweite Vergaser in die Gemischaufbereitung eingreift und auch das Fünfganggetriebe lässt sich sauber durchschalten. Hat man eine Reisgeschwindigkeit von 100km/h auf der Straße erreicht, tuckert man entspannt dahin. Schon fast eine meditative Erfahrung. Und dieser Zustand kann dank dem sagenhaften Aktionsradius der XT lange anhalten: 300 Kilometer sind mit einer Tankfüllung allemal zu absolvieren, bei gemäßigter Gangart, beim Landstraßenbummel, können es über 500 Kilometer werden. Bei einem Schnitt von rund 75 km/h lassen sich also ganze acht Stunden ohne Tankpause hoch auf der Ténéré verbringen.

Nach dem behutsamen Einfahren soll natürlich auch die Geländetauglichkeit geprüft werden. Entsprechende Pläne werden geschmiedet. Denn eines löst die Ténéré auf jeden Fall aus: Das „Land da draußen“ – was Ténéré ja übersetzt heißt ausgiebig zu erkunden. Kick, Kick….und auf zum nächsten Projekt.

Fotos: Martin Fischer, Mitterbauer

Quellenverweise: xt600.de, motorradonline.de